Beurteilungspraxis

Ausnahmebewilligungen gemäss Lärmschutzverordnung (Art. 31 Abs. 2 LSV) sind juristisch nicht ganz unumstritten und auch im Sinne des Lärmschutzes zurückhaltend zu handhaben.

Art. 31 Baubewilligungen in lärmbelasteten Gebieten

 

Grundsätze Vollzug Baubewilligung

  • An jedem Fenster lärmempfindlicher Räume ist der IGW einzuhalten.
  • Bei verbleibenden Überschreitungen sind alle Massnahmen nach LSV auszuschöpfen.
  • Lüftungsfenster (LF) gilt als Massnahme zur Optimierung und Argument bei der Interessenabwägung zur Erteilung einer Ausnahmebewilligung.
  • Ausnahmebewilligungen sind für alle Räume mit Fenstern über dem IGW notwendig.

Kanton St.Gallen: Bauzonen und Baubewilligungen in lärmbelasteten Gebieten
Kanton Thurgau: Abweichungen und Ergänzungen gegenüber der Plattform «bauen-im-laerm.ch» (2023)

 

Farbcode für Raumtypen

Alle lärmempfindlichen Räume werden auf Grund der Belastung an den Fenstern typisiert und zur einfacheren Handhabung in der Praxis mit einem Farbcode belegt:

  • Rot:
    IGW der massgebenden Empfindlichkeitsstufen (ES) an allen Fenstern überschritten
  • Gelb:
    IGW der der massgebenden ES am LF eingehalten
  • Grün:
    IGW der massgebenden ES an allen Fenstern eingehalten

 

Grundsätze Bauvorhaben Wohnen

  • Bauten sollen auf der Baulinie erstellt werden – dadurch entsteht kein wertloses Abstandsgrün.
  • Als primäre Massnahme gelten eine lärmoptimierte Stellung der Baukörper und Anordnung der Nutzungen (Gewerberiegel).
  • Bauliche Massnahmen zum Schutz vor Lärm sollen nur in Form von Nebengebäuden oder strukturell integrierten Wänden erstellt werden und nicht in Form von solitären Lärmschutzwänden.
  • Durch die Schaffung von durchgehenden Räumen soll lärmabgewandtes Lüften ermöglicht werden.
  • Gute Wohnqualität bedeutet, dass jede Wohnung auch ruhige Räume und einen ruhigen Aussenraum hat.
  • Die Bauten sollen sich städtebaulich gut einordnen und den öffentlichen Strassenraum aufwerten, indem dieser nicht durch abweisende Lärmschutzarchitektur belastet wird.

Bewilligungspraxis Wohnen

Werden Wohnbauvorhaben nach den genannten Grundsätzen geplant, ist trotzdem noch nicht gewährleistet, dass an allen Fenstern lärmempfindlicher Räume die IGW eingehalten werden. In solchen Fällen kann das Baugesuch nur nach Art. 31 Abs. 2 LSV bewilligt werden.

Die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach Art. 31 Abs. 2 LSV

  • kann nur erfolgen, wenn alle Massnahmen auf dem Ausbreitungsweg sowie in und am Gebäude ausgeschöpft sind. Der Optimierungsprozess muss erläutert und dokumentiert werden.
  • setzt voraus, dass beim Strasseneigentümer abgeklärt worden ist, ob Massnahmen an der Quelle geplant sind:
    Massnahmen quellenseitig: Lärmarme Beläge und Tempo 30
  • ist nur möglich, wenn die lärmseitigen Mindestvoraussetzungen erfüllt sind.
    Mindestvoraussetzungen für Ausnahmebewilligungen
  • setzt immer eine Abwägung der Interessen der Bauherrschaft und insbesondere der Öffentlichkeit gegenüber dem gesetzlichen Lärmschutz voraus.
    Interessenabwägung
  • kann mit mehr oder weniger strikten Auflagen verknüpft sein.

Kantone Aargau & Zürich: Anforderungen für den Nachweis der Lärmschutzoptimierung von Bauprojekten (2022)
Kanton Thurgau: Anforderungen für den Nachweis der Lärmschutzoptimierung von Bauprojekten (2023)

Die mechanische Belüftung von Wohnräumen ist nicht mit dem offenen Fenster zu vergleichen und kann deshalb nicht als Massnahme zur Einhaltung der Grenzwerte herhalten. Sie kann im Zusammenhang mit Ausnahmebewilligungen bei der Interessenabwägung berücksichtigt werden.

Lärmschutz und mechanische Belüftung

Mechanische Belüftung bei Ausnahmebewilligungen

 

Bewilligungspraxis Betriebsräume

Bestehen bei Betriebsräumen IGW-Überschreitungen, ist das Bauvorhaben hinsichtlich Lärm zu optimieren. Nach Ausschöpfung der möglichen Massnahmen, kann für die verbleibenden IGW-Überschreitungen eine Ausnahmebewilligung erteilt werden. Eine mechanische Belüftung kann als Argument für eine Ausnahmebewilligung dienen.

Kanton Zürich: Mechanische Belüftung bei Betriebsräumen
Kanton Thurgau: Mechanische Belüftung bei Betriebsräumen

 

Bewilligungspraxis Schulzimmer, Kitas, Spital- und Hotelzimmer

Bestehen bei Schulzimmern, Krippen/Kitas, Bibliotheksräumen bzw. Leseräumen in Bibliotheken sowie bei Spital- und klassischen Hotelzimmern IGW-Überschreitungen, ist das Bauvorhaben insbesondere hinsichtlich der Gebäudeform und -stellung sowie der Grundrissanordnung zu optimieren.

Bei Schulen, Kindergärten und Kitas steht bei der Lärmoptimierung eine möglichst lärmabgewandte Anordnung der Schulzimmer (oder nutzungsähnlicher Räume) sowie eine sinnvolle Anordnung des Pausenplatzes bzw. der Aussenräume im Vordergrund. Weniger oder nicht lärmempfindliche Räume sind hingegen möglichst strassenseitig anzuordnen.

Nach Ausschöpfung der möglichen Massnahmen, kann für die verbleibenden IGW-Überschreitungen eine  Ausnahmebewilligung erteilt werden. Wie bei Betriebsräumen kann eine mechanische Belüftung als Argument für eine Ausnahmebewilligung dienen.

Kanton Thurgau: Mechanische Belüftung bei klassischen Hotelzimmern